Wer kennt sie nicht: Die Vorzeigepärchen, deren Liebe in der Schulzeit beginnt, mit Mitte Zwanzig zur Eheschließung führt und die mit Vierzig auf zwei Kinder und ein eigenes Haus blicken können. Ein Lebensplan, der vielen als erstrebenswert gilt. Dem gegenüber steht der erfolgreiche Lebenskünstler, der unverheiratet und ungebunden durch sein Leben geht, und die Powerfrau, die statt Familie auf Karriere setzt.
Aber wie realistisch sind diese Stereotypen wirklich? Wie normal ist es, mit Ende Dreißig noch Single zu sein? Die Antwort mag erstaunen.
Deutsche heiraten immer älter
Moderne Zeiten verändern Lebensläufe. Das klassische Familienbild und die Anforderung, früh den Partner für’s Leben zu finden, sind ein Auslaufmodell. Stattdessen werden etwa 40 Prozent aller Ehen geschieden, ein Großteil davon bereits nach nur sechs Jahren. Eine zweite große Liebe, eine zweite Familie sind mittlerweile fast die Norm, und diese Tatsache führt auch dazu, dass das Eheschließungsalter kontinuierlich steigt.
Heute heiraten Männer in Deutschland im Durchschnitt mit 34,6 Jahren, Frauen mit 32,1. Eine wichtige Information für alle, die mit Sorge auf ihr eigenes Alter blicken und sich fragen, ob sie vielleicht ihre Chance verpasst haben. Nein, es ist nicht unüblich, auch jenseits der Vierzig noch zu heiraten. Und die Sorge, dass vielleicht alle potenziellen Partner schon “vom Markt verschwunden” sind, ist auch unbegründet.
Überzeugter Single – oder auf der Suche?
Tatsächlich bezeichnen sich über 4.5 Millionen Menschen in Deutschland als “überzeugter Single” und verneinen den Wunsch nach einem langfristigen Partner. Diese Zahl stammt aus einer umfassenden Verbrauchs- und Medienanalyse aus dem Jahr 2019 – allerdings war der größte Teil dieser Gruppe Menschen zwischen 20 und 29 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese glücklichen Singles mit Ende 30 entdecken, dass sie doch gerne eine Familie gründen möchten, ist hoch. Dazu kommt, dass viele Menschen sich in eben diesem Alter von ihrem Partner trennen und damit wieder auf der Suche sind.
Die große Liebe mit 26?
Mit wissenschaftlicher Akribie haben sich der Journalist Brian Christian und der Wissenschaftler Tom Griffiths in ihrem Buch “Algorithms to Live by” dem Thema gewidmet. Das perfekte Alter für die Eheschließung ist ihrer (mehr oder weniger fundierten) Meinung nach 26. Sie argumentieren mit dem “Sekretärinnenproblem”, und auch wenn das auf den ersten Blick sehr sexistisch klingt, geht es doch in Wirklichkeit nur um ein statistisches Entscheidungsproblem.
Ein Chef, der aus einer Gruppe von Bewerberinnen die richtige Assistentin heraussuchen soll, wird kaum die erste Bewerberin nehmen. Statistiker Geoffrey Miller schlägt vor, ein Drittel der Bewerberinnen kennenzulernen und sich dann für die erste zu entscheiden, die besser als die beste der ersten 37 Prozent ist. Wer mit Anfang 20 die Suche beginnt, sollte mit 26 den richtigen Partner gefunden haben – und das passt zu einer soziologischen Studie der Universität in Utah, die herausgefunden haben will, dass Paare am glücklichsten sind, wenn sie zwischen 25 und 34 Jahren die Ehe schließen.
Ob diese Studie verlässlich ist, sei dahingestellt. Utah ist die Heimat der Mormonen, die nicht nur hoch religiös sind und strikten Regeln folgen, sondern auch die Polygamie erlauben – also die Heirat eines Mannes mit mehreren Frauen.
Lebenserfahrung als wirklicher Gradmesser
Wer mit Paaren spricht, die später im Leben zusammengefunden haben, hört meist eine andere Geschichte. “Als ich jünger war, wusste gar nicht, was ich vom Leben wollte”, ist ein häufiger Satz. Diese Erkenntnis begleitet auch viele Scheidungen: “Wir haben uns auseinanderentwickelt. Wir waren noch zu unfertig, als wir uns getroffen haben.”
Tatsächlich kommen moderne Menschen zumeist Ende Dreißig/Anfang Vierzig an einen Punkt, an dem sie sich selbst “gefunden” haben. Das gilt für den Beruf genauso wie für persönliche Leidenschaften. Gesammelte Erfahrungen, bewältigte Misserfolge, die Erfüllung von persönlichen Lebensträumen machen eine gestandene Persönlichkeit aus. Und auch sexuell ist hier ein echter Höhepunkt erreicht: Während Frauen Ende Dreißig wissen, was sie wollen, haben Männer ihre Sturm- und Drang-Zeit hinter sich.